Illustrierte
Zeitung. Nr. 2665. Vom 28. Juli 1894.
Durch
einen Tod, der nicht mehr unerwartet kam, ist am 15. Juli Elimar Ulrich Bruno
Piglhein nach längerer Krankheit im Alter von 46 Jahren aus dem Leben
geschieden. Er selber hat damit Erlösung von schwerem Leiden gefunden, das seit
Jahr und Tag schon seine einstige Frische untergraben hatte; die deutsche
Malerei unserer Zeit aber trauert um einen ihrer kraftvollsten und
selbständigsten Meister, und wehmütig blickt man auf ein Künstlerdasein zurück,
das an Verheißungen reich war, und dem es doch versagt blieb, sich ganz zu
erfüllen.
Am 19. Februar 1848 in Hamburg als Sohn eines Dekorateurs
geboren, war Piglhein unter künstlerisch anregenden Eindrücken aufgewachsen und
in der Meinung, zum Bildhauer berufen zu sein, nach Abschluss der Schuljahre in
die Hamburger Werkstatt von Lippelt eingetreten. Nach dessen Tod ging er 1867
nach Dresden, wo er zwei Jahre lang die Akademie besuchte und dann in
Schilling’s Atelier arbeitete. Hier entstanden eine Brunnenfigur und die Gruppe
einer Märchen erzählenden Großmutter, die jedoch mehr malerische als plastische
Begabung verrieten. Auf einer italienischen Reise kam dem jungen Künstler, der
sich als Maler zuerst in einem Porträt seiner Schwester versuchte, die gleiche
Erkenntnis. In Weimar bei Pauwels und dann 1870 in München bei Dietz suchte er
nun fernere Ausbildung, ohne indes hier oder dort sich länger gefesselt zu
fühlen. Von zwei Seiten her wirkten stärkere Einflüsse auf ihn ein, von Makart,
dem damals gefeierten Koloristen, und von dem phantasiegewaltigen Böcklin, den
einstweilen noch wenige Auserwählte zu würdigen wussten. Auf jenen weist eine
Reihe glänzender dekorativer Arbeiten zurück; an Böcklin’sche Stimmungen aber
erinnert eine Anzahl idealer Kompositionen, in denen wir die Phantastik der
Zentaurenwelt, die Sinneslust des Bacchanals, die Freude am Gewoge des Meeres
ihren malerischen Ausdruck finden.
Nur einzelne dieser Schöpfungen sind wenigstens späterhin
in die größere Öffentlichkeit herausgetreten. Von den meisten ist in weitere
Kreise nur ebenso flüchtige Kunde gelangt wie von den verschiedenartigen
sonstigen Arbeiten der Werdezeit des Künstlers. Erst 1879, als man im engeren
Kreise ihn längst als hochbegabten Maler schätzte, machte sein „Moritur in Deo“
seinen Namen mit einem Schlage bekannt. Dann gaben allerdings bald wieder seine
pikanten Pastelle, die 1882 ihren siegreichen Zug durch die Ausstellungen
antraten, und wenige Jahre später das Panorama der Kreuzigung, das 1886
Bewunderung erweckte, erneuten Anlass, sich über sein Schaffen lebhaft zu
erregen.
Nicht das religiöse Motiv war es, das den Künstler zu dem
„Moritur in Deo“ betitelten Kreuzigungsbilde begeisterte, sondern ein
wesentlich malerischer Gedanke von ausgesprochen moderner Färbung. Aus
zerrissenem Gewölk taucht das Kreuz mit der nackten Gestalt des Erlösers
hervor, emporgehoben über die gemeine Wirklichkeit in eine ideale Welt
dichtender Phantasie, in der sich die große Vorstellung der Überwindung alles
Irdischen zu einer Vision von packender poetischer Gewalt verkörpert. Ein
letztes Ausklingen wilden Schmerzes durchzuckt die Glieder des Sterbenden; das
aufwärts gewandte Auge aber verklärt sich zu seligem Schauen, und wie der mild
versöhnende Friede der Nacht, die ihre Schatten tröstend über Leid und Not
ausbreitet, neigt sich, von dunkeln Schleiergewändern umflossen, über dem
Verendenden ein breitbeschwingter Engel herab, um ihm den Erlösungskuss auf die
erkaltete Stirn zu drücken. Eine Schilderung des Sterbens in großer Auffassung,
ebenso ideal gedacht wie mit strengem Studium der Natur durchgeführt, ist das
Bild eine von allem Zwang der Überlieferung völlig freie, neue und eigenartige,
von versöhnlichstem Empfinden durchtränkte, aus echt malerischer Anschauung
geborene Schöpfung von stark modernem Gepräge.
Im Grunde war Piglhein in diesem Werke derselbe Meister,
als der er nach wenigen Jahren in seinen geistreichen Pastellen sich zeigte. So
sehr das veränderte äußere Gesicht überraschen mochte, so wenig konnte ein
tiefer dringender Blick das gleiche nervöse Empfindungsleben des zwischen dem
flüchtigen Genießen der schimmernden Oberfläche der Dinge und dem Entfliehen in
erträumte Reiche tieferer Schönheit hin und hergetriebenen Menschen unserer
aufgeregten, hastenden, unbefriedigten Zeit verkennen. Das Urteil aber blieb
zumeist an der Außenseite hängen. Während der von lustig zerfließendem Schleier
umrahmte, streng und schön geformte Kopf der „Béatrice“ mit seinem
sehnsuchtsvollen Blick bewundert wurde und die anmutigen, ihr Hündchen oder
ihre Katze, das Spielzeug oder die goldige Orange liebend an sich pressenden
nackten Buben und Dirnen, die mit weitgeöffneten, ahnungsvoll verlangenden
Augen wie Murillo’sche Engel in die Welt hinausschauten, vor jedermann Gnade
fanden, riefen die graziösen Vertreterinnen des modernen Chic, die der Künstler
mit ihren schlanken Taillen, mit dem kokett getragenen Fächer, mit den
geschminkten Lippen und ihrem verführerischen Lächeln bald in elegantester
Modetracht, bald in knapper Jockeyjacke oder keck herausforderndem Maskenkostüm
als ein Stück echtesten Lebens unserer Tage mit demselben sprühendem Reiz und
mit der gleichen leichten und sichern Meisterschaft zu schildern sich gefiel,
ein kritisches Entsetzen ob solchen schnöden Abfalls von aller wahren Kunst
hervor. Nur das Gegenständliche sah diese Kritik, nicht die Feinheit der
künstlerischen Auffassung, den Geist und die Anmut der Darstellung; den
seltenen Erfolg konnte sie weder leugnen noch verringern.
Hatte Piglhein durch sein erstes großes Werk Bewunderung
erregt, so war er jetzt ein gesuchter Meister geworden. Die schon früher
entstandene „Idylle“, jenes hübsche, vom Rücken gesehene nackte Kind, das, an
den großen Hund geschmiegt, auf einem Steg über dem Wasser sitzt, ward ein
Lieblingskind des Publikums, dem der Künstler nun auch das von vorn geschaute
Gegenstück malte; gleich ihm fanden die übrigen Pastelle in Nachbildungen die
denkbar weiteste Verbreitung, und reizvoll duftige, vornehm bewegte
Pastellporträts von Frauen und Kindern wurden in hohen und höchsten Kreisen
begehrt. Eine wahrhaft große, ihn innerlich packende Aufgabe aber trat an
Piglhein 1885 mit dem Auftrag heran, für München die Kreuzigung Christi in
einem mächtigen Panorama darzustellen, für das er sofort die Studien in Palästina
begann, um mit Beihilfe der Maler Frosch, Krieger, A. Heine und J. Block die
Riesenarbeit bereits im Mai 1886 zu vollenden. Was er gab war eine Schöpfung
von völlig einzig dastehender Art, ein Bild von ebenso reicher Fülle des Lebens
wie einheitlich geschlossener, gewaltiger malerischer Haltung. Mit ihren Hügeln
und Olivenwäldern, mit den Landstraßen, auf denen die Karawanen zum Osterfest
der Stadt zuzogen, lag die Landschaft weit und groß vor dem Beschauer da, im
Zuge ihrer Linien die Blicke auf das stolze Jerusalem hinlenkend und auf die
von dem zugeströmten Volk umlagerte Höhe von Golgatha mit dem hochragenden
Kreuz, an dem der Erlöser inmitten der Schächer seine Seele aushauchte.
Meisterhaft fügten sich in die großartige Szenerie die mannigfachsten Episoden
von glücklichster Durchbildung ein, ohne doch die Ruhe und Einheit des Ganzen
zu stören, und von ergreifendem Eindruck war die fest zusammengehaltene, der
geschilderten Tragödie entsprechende gewitterfahle Stimmung von Licht und Luft.
Ein tragisches Geschick hat es gewollt, dass dieses
Hauptwerk Piglhein’s im Frühjahr 1892 in Wien ein Raub der Flammen wurde. Was
er vor und nach seiner Vollendung neben den schon genannten Arbeiten schuf,
sind ausnahmslos Zeugnisse ungewöhnlicher Begabung, doch kaum künstlerische
Taten, wie sie von ihm zu erwarten gewesen wären, wenn der rechte Auftrag seine
ganze Kraft gefordert hätte. Einigen früheren Madonnenbildern und einem im
Augenblick des Sterbens aufgefassten Christus ließ er 1888 eine großgedachte
„Grablegung“ folgen, die indes nicht die unmittelbare Wirkung des „Moritur in
Deo“ erzielte. In Wiesbaden schmückte er dann ein Privathaus mit einem Plafond,
der den „Einzug des Frühlings“ in einem anmutigen Kinderreigen schilderte. Noch
einmal brauchte er ferner 1890 eine wolkenumgebende Madonna mit dem Kinde, dem
lichtstrahlenden, von Engelskindern angestaunten „Stern von Bethlehem“. An
seine orientalischen Studien erinnerten weiterhin die vielbewunderte, obschon
vielleicht etwas gesuchte „Blinde mit dem Wasserkrug“, die sich mit dem Stab
über ein rotes Mohnfeld hintastet, und eine in leuchtendem Fleischton gemalte
halbnackte „Schwerttänzerin“.
Ein flüchtiges Überblicken seines Schaffens genügt, um zu
erkennen, wie Piglhein schon darin ein moderner Meister war, dass er sein
Talent nicht etwa an ein besonderes Fach und Stoffgebiet band. Maler im
weitesten Sinne des Wortes, kannte er nur das eine Ziel, in seiner Kunst nach
jeder Richtung hin sich auszuleben. Ein ganzer Mensch, mit Kraft und Bildung
gleichmäßig ausgerüstet und von frischer Sinnlichkeit erfüllt, umfasste er
dabei die wirkliche Welt und das lustige Reich der Phantasie mit gleicher
Inbrunst. Was Sinn und Auge fesselte, setzte sich ihm in malerische Anschauung
um, fand in Ton und Farbe den sprechenden Ausdruck des Empfindens, das hier
durch den äußeren Reiz der Erscheinung, dort durch die dichterisch gestaltende
Phantasie ihm erregt wurde. Angeborener Geschmack und sichere Klarheit des
Urteils machten ihn früh schon reif und selbständig, und diese Selbständigkeit
im Verein mit der Liebenswürdigkeit seines Wesen ließen ihn, ohne dass er
selber danach geizte, die allgemeine Achtung und die leitende Stellung im
Kreise der vorwärts strebenden Künstlerschaft gewinnen, die äußerlich darin
sich aussprach, dass er, ohne selber als stürmender Neuerer aufzutreten, doch
der anerkannte Führer der Sezession wurde. Fendler.
_______________o_______________